Myotonien und Myotone Dystrophien
Klinische Symptomatik
Unter dem Begriff „Myotonie“ versteht man eine Relaxationsstörung oder Dekontraktionshemmung der Willkürinnervation der Muskulatur. Der Patient empfindet dies als Muskelsteifigkeit. Der Myotonie liegt eine heterogene primäre Erkrankung des Muskels im Sinne einer Muskelkanalerkrankung zugrunde. Unterschieden werden dabei
Nicht-dystrophe Myotonien:
- Chlorid-Kanalmyotonien
- Calcium-Kanalmyotonien
- Natrium-Kanalmyotonien
und Dystrophische Myotonien:
- Myotone Dystrophie Typ 1 (DM1, Curschmann-Steinert)
- Myotone Dystrophie Typ 2 (DM2, PROMM-Syndrome, Ricker disease)
Die Differenzierung zwischen nicht-dystropher und dystropher Myotonie erfolgt klinisch.
Bei den nicht-dystrophen Myotonien liegen in der Regel neben der Myotonie nur eine Kreatinkinaseerhöhung und keine weiteren Symptome vor. Zumeist ist bei diesen Erkrankungen die Muskulatur eher kräftig entwickelt. Wenn Symptome wie Muskelschwäche und Muskelatrophie mit Myotonie im Vordergrund stehen, liegt in der Regel eine dystrophe Myotonie vor, die dann einer ergänzenden Analyse bedarf. Da es sich bei den dystrophen Myotonien um sog. Multisystemerkrankungen handelt, findet man häufig weitere Krankheitssymptome wie Kreatinkinase- und Leberenzymerhöhungen, diabetogene Stoffwechsellage, und einen grauen Star (eine Katarakt). Nicht-dystrophe Myotonien werden sowohl dominant als auch rezessiv vererbt, während dystrophe Myotonien immer dominant vererbt werden.
Diagnostik
Initial wird die Krankengeschichte mit Familienstammbaum erhoben und eine körperliche Untersuchung durchgeführt. Durch Zusatzuntersuchungen wie die Elektromyographie (EMG) kann eine weitere Bestätigung der Erkrankung erfolgen (Nachweis der Myotonie im EMG). Ist das Anfangssymptom z.B. ein grauer Star (Katarakt) oder eine Herzrhythmusstörung wird der Verdacht möglicherweise durch einen anderen Facharzt (Augenarzt oder z.B. Internist) ausgesprochen, bevor dann der Neurologe die endgültige Diagnose stellt.
Durch eine Blutuntersuchung (Gentest) ist die Diagnose für myotone Erkrankungen zu sichern. Der Nachweis der Gen-Veränderung (Mutation) ist beweisend für eine DM1 und DM2, sowie für Chlorid-, Calcium- und Natriumkanalerkrankungen.
Die Muskelbiopsie kann in der erweiterten Differentialdiagnose oder im Rahmen wissenschaftlicher Studien sinnvoll sein.
Therapiemöglichkeiten
Eine ursächliche Therapie wie z.B. eine Gentherapie myotoner Erkrankungen wird aktuell nur im Rahmen von klinischen Studie untersucht. Krankengymnastik und eine am Symptom orientierte Behandlung mit dem Ziel die Beeinträchtigung zu mildern ist aber möglich.
Sollte eine klinisch relevante Myotonie vorliegen, ist eine medikamentöse (zum Teil sog. off-Label use) z.B. mit Mextiletin, oder Lamotrigin möglich. Engmaschige EKG- und Laborkontrollen sind zu beachten!
Für die Behandlung der Herzsymptome stehen alle üblichen internistisch-kardiologischen Möglichkeiten zur Verfügung (z.B. Defibrillator-Schrittmacher). Eine Blutzuckererkrankung oder Schilddrüsenfunktionsstörung sollte nach üblichen internistischen Regeln konsequent behandelt werden. Durch eine heute zumeist ambulant durchführbare Operation und Einbringung einer künstlichen Linse wird ein Katarakt beseitigt. Graduiertes körperliches Training, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sind wichtige Pfeiler der Therapie. Eine kognitive Verhaltenstherapie ist bei Fatigue indiziert.
Eine humangenetische Beratung ist immer indiziert, insbesondere wegen der Möglichkeit des Auftretens einer schweren congenitalen myotonen Dystrophie.
Stand: 08/2024